Sterbehilfe

Zuletzt geändert: 18.2.2009 durch den Autor

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin Anhänger der "Aktiven Sterbehilfe" und das umso mehr, als ich mich ausführlich informiert habe. Auch wenn man alle Möglichkeiten ausschöpft, um einem schwer Kranken oder Behinderten zu einem akzeptablen Leben zu verhelfen, so hat das in der Praxis doch (leider!) Grenzen, und die sollte man - ob man will oder nicht - hinnehmen. Ich halte das Thema für sehr wichtig, und das nicht ohne Grund: Denn die Realität hält doch manchmal (zum Glück nicht immer!) einige mehr als unangenehme Überraschungen bereit!

Ich habe Zivildienst in der Altenpflege gemacht und bin seit viereinhalb Jahren durch einen Schlaganfall halbseitig gelähmt. Zuerst war ich bettlägerig, dann habe ich im Rollstuhl gesessen. Durch intensive Therapien kann ich einige hundert Meter wieder gehen (unter mehr oder minder starken Schmerzen) und kann meine rechte Hand minimal benutzen. (So was nennt man wohl "Glück im Unglück" - ich war erst Mitte Vierzig bei meinem Schlaganfall; schwerer Schlaganfall ohne "Glück im Unglück": siehe unten!) Ich kenne die Pflege also von beiden Seiten! Außerdem habe ich mich aus verschiedenen Quellen - unter anderem Wikipedia - schlau gemacht. Zudem habe ich mich in einem Zusatzstudium zu meinem betriebswirtschaftlichen Studium (Operations Research - da beschäftigt man sich insbesondere mit Optimieren und Entscheiden) besonders mit Denk-, Wahrnehmungs- und Entscheidungspsychologie beschäftigt. Ansonsten stütze ich mich auf Sachen, die ich gehört habe, und die - nicht übertrieben - wahrlich grausig sind. Obendrein sei die Lektüre von Hans Küng: Menschenwürdig sterben (in: Walter Jens, Hans Küng: Menschenwürdig sterben, Piper, 2. Auflage, 1995) empfohlen. (Dieser Literaturhinweis hat wie alle in diesem Artikel aufgeführten nicht den Zweck, diesem Text etwa den Anstrich der Wissenschaftlichkeit zu geben [oder Ähnliches], sondern es geht darum, dass die Sachen auch gelesen werden, damit man sich ein Bild von der - wahrlich erschreckenden - Realität machen kann, um die es hier geht [und damit man bei diesem Thema wirklich mitreden kann und weiß, worüber man spricht]!)
Mein Urteil ist: Dass "Tötung auf Verlangen" bei uns (ohne Ausnahme) unter Strafe steht, ist ein NACKTER WAHNSINN, und selbst das ist noch geschmeichelt!
Wer ein Alter in Würde erreicht, dem sei es gegönnt (ich habe selbst während meines Zivildienstes gehört, dass es auf einer Station eine über Hundertjährige gäbe, die ihr Zimmer noch selbst Staub wischt) - wenn Alzheimer oder Ähnliches zuschlägt, dann kann von Würde nicht mehr die Rede sein!
Beispiele:
Ein Kamerad von meiner Tischtennis-Mannschaft (ich habe vor meinem Schlaganfall Tischtennis gespielt) erzählte von einem Freund, dass diesen - ausgerechnet kurz nach der Pensionierung - ein (schwerer) Schlaganfall erwischt hatte: Er war am ganzen Körper gelähmt und konnte nur noch die Augen bewegen. Seine "Lebensqualität" war so, dass er mit den Augen irgendwann signalisiert hat, dass er sterben wolle. Schade, Sterbehilfe in diesem Fall steht angeblich sogar in den Niederlanden unter Strafe!
Meine Logopädin erzählte einmal, dass sie von einem Mann gehört hatte, der seit 19(!) Jahren im Wachkoma liegt. Ich hoffe, dass sich meiner jemand erbarmen wird und das Gesetz Gesetz sein lassen wird, wenn ich nur wenige Monate ins Wachkoma falle! Man beachte: 19 Jahre Pflege hier - hunderte toter Kinder in Entwicklungsländern dort! Ich könnte ruhiger sterben, wenn ich wüsste, dass das für meine Pflege gesparte Geld der Entwicklungshilfe oder vielleicht Armen hierzulande zugute kommen würde!
Ein dritter Fall: Ein ehemaliger Zivildienstleistender, der in der Altenpflege gearbeitet hatte, erzählte mir, dass es auf der Station, wo er gearbeitet hatte, eine Frau gab, die so dement war, dass sie nur noch den Flur entlang wanderte, nur, um rechtzeitig vor der Türe dann jeweils umgedreht zu werden, und dann lief sie den Flur in der anderen Richtung entlang. So stell ich mir nicht wirklich ein Alter in Würde vor! Gebt mir eine Spritze, bevor es mit mir soweit kommt!
Auf der (ersten) Station, auf der ich Zivildienst gemacht habe, gab es eine Frau, die praktisch blind UND taub war. Selbst direktes Schreien in ihr Ohr half meistens nicht mehr (ob sie gar nichts hörte oder zumindest minimal etwas, das hing wohl irgendwie von der Durchblutung ab). Brille hatte sie keine; ich nehme an, das war zwecklos. Ihr "Lieblingsspruch" war: "Ach, ich will sterben". Auch wenn das bei ihr wohl nicht so ganz ernst gemeint war: Zufriedenheit stell ich mir anders vor! Auch hier gilt: Gebt mir eine Spritze, bevor es mit mir so weit kommt!
Ein anderer Fall, auch aus meinem Zivildienst: Eine Frau war so gut wie ausschließlich damit beschäftigt, zu weinen. Vielleicht würden heute bessere Anti-Depressiva helfen, aber wenn das nicht hilft: Gebt mir eine Spritze, wenn ich so weit kommen sollte!
Meine Großmutter wurde - als ich zehn Jahre alt war - bei einem Autounfall (sie hatte versucht, eine Straße zu überqueren) so schwer verletzt, dass ihr Zustand nach menschlichem Ermessen aussichtslos war. Ich hoffe, dass man heute passive Sterbehilfe in so einem Fall leisten würde, nichts desto trotz: damals hat man sie noch fünf Tage sinnlos gepflegt. Ich nehme an, Ärzte und Pfleger (und die Medizingeräte-Hersteller und im Zweifel auch die Pharmaindustrie!) haben daran gut verdient! (Nichts gegen Pfleger und Ärzte, ich kenne selbst sehr nette und vernünftige, aber die haben sich da offensichtlich nicht gegen die durchsetzen können, die wahrscheinlich vor allem Angst vor der Verantwortung hatten.) Meine Oma hat von alledem zum Glück nichts mitgekriegt, denn sie war ohne Bewusstsein.
Wer das als "Einzelfälle" abtut, dem sei gesagt, dass ich diese Liste noch ohne weiteres um zahlreiche Fälle (Parkinson in der Endphase, Demenz plus Bettlägerigkeit usw. usf.) erweitern könnte. Und laut Wikipedia gibt es allein in Deutschland 1.000.000 Menschen mit Demenz (da ist keine Null zu viel!). Das werden im Zweifel nicht alles nur leichte Fälle sein! Wenn man nur 10 % schwere Fälle annimmt, und Pflegekosten von 40.000 Euro pro Jahr und Fall, dann "verdienen" daran die Pfleger lockere 4 Milliarden (!) im Jahr, und das bei der überwiegenden Mehrheit gegen den mutmaßlichen Willen der Betroffenen! (Umfragen zufolge sind 2/3 der Bundesbürger FÜR "Aktive Sterbehilfe" und wenn man davon ausgeht, dass schwere Demenz auch nicht gerade zu deren Zielen fürs Alter gehört, dann sind mindestens 2 Milliarden (!) im Jahr locker rausgeschmissen, weil der Gesetzgeber sich gegen den Willen des Individuums und gegen den Willen eine 2/3 Mehrheit der Bevölkerung stellt! Das nennt man "Demokratie"!) Wer wissen will, was einen (überwiegend) im Alter erwarten kann, dem seien folgende Stichwörter in der Wikipedia empfohlen:
"Demenz" (http://de.wikipedia.org/wiki/Demenz)
"Alzheimer" (http://de.wikipedia.org/wiki/Alzheimer-Krankheit)
"Parkinson" (http://de.wikipedia.org/wiki/Parkinson-Krankheit)
"Wachkoma" (http://de.wikipedia.org/wiki/Apallisches_Syndrom )
"Multiple Sklerose" (http://de.wikipedia.org/wiki/Multiple_Sklerose - da wird überwiegend von positiven Prognosen berichtet - meine Logopädin hat mir einen anderen Fall geschildert: der Mann konnte nicht mal mehr essen!)
"Herzinfarkt" (http://de.wikipedia.org/wiki/Herzinfarkt - wohl noch vergleichsweise harmlos!)
"Schlaganfall" (http://de.wikipedia.org/wiki/Schlaganfall - meistens(!) noch vergleichsweise harmlos!)
und "Krebs" (http://de.wikipedia.org/wiki/Krebs_(Medizin) )
Um Missverständnissen vorzubeugen: In der Mehrzahl der Fälle ist noch ein selbstbestimmtes Alter in Würde möglich (keine Lähmung, Sprechen ist möglich, Freunde sind - noch oder wieder - vorhanden). Aber Wehe, wenn das Schicksal zuschlägt! Zum Beispiel "Demenz": Das bedeutet nicht nur, dass man zugucken "darf", wie man langsam abbaut. Nein, man kann dazu unter Anderem(!) noch Angst machende Halluzinationen dazu bekommen. Also dann bei Demenz doch lieber "Aktive Sterbehilfe".
Einen sehr guten Artikel zu "Aktive Sterbehilfe und ihre Alternativen" von Irene Nickel findet man unter:
http://www.beepworld.de/members42/irenenickelpolitik/aktivesterbehilfeua.htm
Der Tenor ist, dass die Alternativen für viele Menschen durchaus akzeptabel sind, aber eben nicht für alle. Und weil die Alternativen für manche Menschen ungeeignet sind, können sie die aktive Sterbehilfe nicht überflüssig machen. (Es sei hier angemerkt, dass Frau Nickel in einigen Details durchaus anderer Ansicht als ich ist. Insbesondere hat sie zur Frage, was im Falle, dass jemand keinen Willen äußern kann und auch nicht früher geäußert hat, eine restriktivere Meinung als ich.)
Am Rande: Das Grundgesetz spricht von der Würde des Menschen; nicht von seiner bloßen Existenz. Was also gehört zur Würde: Darüber müsste sich eigentlich das Bundesverfassungsgericht einmal auslassen. Ich würde sagen: In jedem Fall gehört dazu ein selbstbestimmtes Leben. Blindheit oder (nicht: und) Taubheit, geringfügige bis mittlere Behinderungen (z.B. Rollstuhl) sind sicherlich kein Hinderungsgrund für ein Leben in Würde. Aber ein Leben, das von Anderen bestimmt wird, sollte es wohl nur im Ausnahmefall geben (z.B. bei geistiger Behinderung von Geburt an). Ansonsten sollte der Wille des Einzelnen gelten. Wenn dieser ihn äußern kann (und überhaupt hat!), sollte das gelten, ansonsten ein so genanntes "Patiententestament".
Wer sich für "Aktive Sterbehilfe" einsetzt, der sollte auch "Butter bei de Fische" geben: Erstens sollte er das, was er für andere richtig hält, auch für sich selbst gelten lassen, und zweitens sollte er sagen, wie er sich ein entsprechendes Gesetz vorstellt. Ersteres meine ich schon zum Ausdruck gebracht zu haben, fehlt noch Letzteres.
Wie also sollte ein Gesetz aussehen? Tötung auf Verlangen sollte grundsätzlich noch unter Strafe stehen, um Missbrauchsfälle und Ähnliches zu Verhindern. Allerdings sollte der Richter von Strafe absehen können, oder es sollte sogar eine garantierte Straffreiheit geben, wenn folgende Bedingungen beachtet wurden:
- eine Psychiaterin oder ein Psychiater sollte die betreffende Person begutachten
- die Hausärztin oder der Hausarzt sollte die betreffende Person begutachten
- eine Richterin oder ein Richter sollte die letztendliche Entscheidung treffen (einer muss die "Dreckarbeit" machen!)
und zwar unter Berücksichtigung folgender Punkte:
1. es sollte wirklich der ernst gemeinte Wille des Betroffenen sein, zu sterben (und nicht ein verkappter Hilferuf nach mehr Zuwendung, nach einem Sinn für das Leben, intensiverer Therapie oder Ähnliches)
2. es darf der Wille nicht auf einer psychischen Störung oder Erkrankung basieren
3. der Wille darf nicht von Außen aufgezwungen sein (z.B. durch Anverwandte, die an das Erbe kommen wollen; andererseits sollte jemand auch nicht gegen seinen Willen am Leben erhalten werden, nur weil seine Angehörigen mit dem Tod eines Geliebten nicht umgehen können!)
4. es muss eine schwere, nicht nur vorübergehende, nicht oder nur unzureichend therapierbare und nicht oder nur unzureichend durch Hilfsmittel ausgleichbare Krankheit ("ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat"; schwere Lähmung, z.B. Tetraplegie, starke und häufige Schmerzen, starke sensorische oder motorische Beeinträchtigung, z.B. Blind- und Taubheit oder Parkinson, häufige Depressionen oder Angst machende Halluzinationen, Demenz, Fehlen mehrerer Glieder, häufige schwere Atemnot) vorliegen; das soll durch einen Facharzt festgestellt werden, sonst kommt eventuell der Hausarzt zu dem Urteil "nicht therapierbar", obwohl ein Facharzt vielleicht noch - gute - Behandlungsmöglichkeiten sieht. Vielleicht liegen z.B. tatsächlich "starke und häufige Schmerzen" vor, aber ein spezieller Schmerztherapeut könnte sie vielleicht noch mit Erfolg behandeln.
5. Wenn 4. mit Ausnahme von Demenz vorliegt, bleibt die Tötung auch dann straffrei, wenn der Betroffene keinen Willen hat oder diesen nicht äußern kann, und auch kein "Patiententestament" oder andere verwertbare Zeugnisse über seinen Willen vorliegen.
Wenn der Betroffene einen Willen hat und ihn äußern kann, sollte das gelten, ansonsten ein so genanntes "Patiententestament".
Wenn der Betroffene keinen Willen hat oder diesen nicht äußern kann, und auch kein "Patiententestament" oder andere verwertbare Zeugnisse über seinen Willen vorliegen, wird 's schwierig. Wenn der Betroffene unter starken, nicht behandelbaren Schmerzen oder Ähnlichem (häufige, Angst machende Halluzinationen oder vollständige Lähmung unter der er leidet, weil sie ihn zum dauernden Nichtstun verurteilt, z.B., siehe oben!) leidet, sollte man ihm den Gnadentod nicht deswegen vorenthalten, weil er keinen Willen mehr äußern kann und leider kein "Patiententestament" gemacht hat bzw. machen konnte. (Konkrete Fälle, die ich vor Augen habe, sind beispielsweise Wachkomapatienten, die für den Fall des Wachkomas im Patiententestaments nichts hinterlassen haben. Der oben genannte Fall von einem Patienten, der seit sage und schreibe 19 Jahren im Wachkoma liegt, z.B. Ein anderer Fall - aus meinem Bekanntenkreis - ist der Fall von der Mutter eines Freundes, die nach einem Schlaganfall ins Wachkoma gefallen war [und dann nach zweieinhalb Jahren starb]. Der Freund, der sehr an seiner Mutter hing und sie täglich im Pflegeheim besuchte, hat zwar minimale Reaktionen seiner Mutter feststellen können, aber hatte den Eindruck, dass sie nicht glücklich war. Schade, unsere derzeitige gesetzliche Regelung sagt, dass sie Leben muss, ob sie will oder nicht!)
Der - notfalls mutmaßliche - Wille des Betroffenen sollte eindeutig im Vordergrund stehen und von dem Arzt - notfalls gegen dessen eigene Meinung - beachtet werden. Vereinfachende Regeln wie etwa "immer leben lassen" sind unzulässig, wenn ein schweres Leiden des Betroffenen dem Selbsterhaltungstrieb zuwider läuft! Wenn der Betroffene sich nicht äußern und sein Wille im konkreten Fall nicht direkt ermittelt werden kann, sollte der Arzt den - z.B. auf Analogschlüssen zu Aussagen im "Patiententestament" basierenden - mutmaßlichen Willen des Betroffenen befolgen; nur wenn das auch nicht weiter hilft, hat das Gewissen des Arztes Vorrang! Aussagen der Angehörigen können zwar vielleicht hilfreich sein, um den mutmaßlichen Willen des Betroffenen zu ermitteln, aber letztlich sollte man den mutmaßlichen Willen des Betroffenen gelten lassen, auch wenn es den Angehörigen vielleicht schwer fällt, einen geliebten Menschen sterben zu sehen.
Wer diese Regelung als "Dammbruch" ansieht, dem sei gesagt, dass man mittlerweile weiß, dass man Dämme am besten in angemessener Entfernung vom Fluss errichtet, damit sie bei Hochwasser nicht brechen oder einfach überspült werden (soll hier heißen: dass Wildwuchs entsteht)! (Aus England wird beispielsweise von einer Befragung berichtet, bei der jeder dritte der befragten Ärzte angab, schon einmal aktive Sterbehilfe geleistet zu haben - und das, obwohl dies dort genau wie hier verboten ist! Ich nehme an, dass jeder davon auf eigene Faust gehandelt und nicht - wie von mir gefordert - Spezialisten zu Rate gezogen hat!).
Wer andererseits diese Regelung für zu bürokratisch hält, dem sei gesagt, dass das Absicht ist. Die aktive Sterbehilfe soll wirklich das letzte Mittel sein und nicht eine einfache Alternative für( Denk- ) Faule. Allerdings sollte man letztendlich auch eine Entscheidung für den Tod respektieren. Im Zweifel hat der Betroffene wohl seine Gründe und schon selbst reichlich nachgedacht!
Apropos "Patiententestament": Das sollte möglichst unter Aufsicht oder von einem Notar abgefasst, und, falls Schreiben möglich ist, unterschrieben werden (ersatzweise durch den Notar: das ist besser als ein Daumenabdruck des Betreffenden, der vielleicht auch nicht geleistet werden kann - mangels Daumen oder z.B. bei Lähmung der Arme/Hände). Der Notar sollte bei Abfassung des Patiententestament beratend zur Seite stehen.
Notare sind nicht eben billig: Den Gang zum Notar kann sich sicherlich nicht jeder leisten. Um wirklich zu fundierten Aussagen über den jeweiligen Willen der Betroffenen auch ohne Notar zu kommen, sollte eine entsprechende Informationsschrift kostenlos für jeden Bürger erhältlich sein. Diese Informationsschrift könnte an allen geeigneten und öffentlich zugänglichen Orten (z.B. Ämtern) ausgelegt werden. Zusätzlich sollte man sie jedem Schüler beim Abgang von der Schule aushändigen und im Internet veröffentlichen.
Entsprechend sollte man auch falschen Auslegungen des Gesetzes entgegenwirken. Es ist nicht ohne Grund sehr eng gefasst. Ein Herzfehler oder "bloß" "Angst vor dem Altenheim" zählen z.B. absichtlich nicht zu den genannten schweren Krankheiten. Auf den Zusatz "und Ähnliches" wurde ausdrücklich verzichtet, um nicht irgendwelchem Missbrauch Tür und Tor zu öffnen - der Zusatz "und Ähnliches" wäre ein Schlupfloch par Exellence!
Außerdem sollte die korrekte Befolgung des Gesetzes dadurch sicher gestellt werden, dass alle Beteiligten (Ärzte, aber auch die Richter) genügende Schulungen besuchen müssen. Missverständnissen (die ich nach entsprechender Kritik an dem Gesetz für wahrscheinlich halten muss) bezüglich der Auslegung des Gesetzes ist vorzubeugen!
Bei Demenz sollte der Wille zu sterben nicht angenommen, sondern nur vom Betreffenden explizit formuliert werden dürfen. Denn bei Demenz in einer frühen oder mittleren Phase, wird er seinen Willen im Zweifel noch frei äußern können, in einer späteren Phase gibt es keinen Grund ein Leiden anzunehmen (die Betreffenden kriegen eh nichts mehr mit). Allerdings löst die Vorstellung von einer späteren Phase der Demenz bei vielen schon zu der Zeit, in der sie noch einen Willen haben, - nicht zu Unrecht (meiner Meinung nach) - einen blanken Horror aus. Das dadurch ausgelöste Leiden gilt es zu vermeiden. Deshalb sollte man schon zu der Zeit, in der man noch einen Willen hat, für diesen Fall um (straffreie!) aktive Sterbehilfe bitten können.
Bei Wachkoma (und Ähnlichem) sollte man eine angemessene Frist abwarten; wenn keine vernünftige Aussicht mehr auf ein Erwachen besteht, sollte man dem Betreffenden den Gnadentod gönnen.
Sonst: Im Zweifel lieber leben lassen! Demenzkranke müssen nicht unter Depressionen oder Angst machenden Halluzinationen leiden; manch einer lebt blöde, aber stillvergnügt vor sich hin!
In die genannte oder eine ähnliche gesetzliche Regelung wären hinreichend Sicherheiten gegen möglichen Missbrauch eingebaut. Perfekt wäre auch dieses Gesetz nicht (das hat es mit allen anderen Gesetzen - auch der derzeit hier geltenden Regelung - gemeinsam!). Aber es wäre eine wesentliche Verbesserung gegenüber der derzeitigen Situation, in der Tausende leiden müssen oder Ärzte in die Illegalität gedrängt oder dem Wohlwollen eines Richters ausgeliefert werden. Man beachte: Niemand soll gegen seinen Willen getötet werden, kein Arzt soll gegen seinen Willen zum Töten gezwungen werden. Wenn einem einzelnen Arzt sein Gewissen verbietet zu töten - sei es auch in Wirklichkeit Angst vor einer unumkehrbaren Entscheidung! - , so ist das seine Sache! Aber auch: Niemand sollte gegen seinen Willen zum Leben gezwungen werden!
Hier ist absichtlich von einer "schweren Krankheit" und nicht von einem "unerträglichen Leiden" die Rede. Ein "unerträgliches Leiden" ist subjektiv und kann z.B. auch durch Liebeskummer, finanzielle Schwierigkeiten, Einsamkeit oder generellen Lebensüberdruss ausgelöst werden. Bei aktiver Sterbehilfe sollte aber eine objektiv (durch Dritte, insbesondere einen Richter) überprüfbare Kategorie als Grundlage dienen. (Abgesehen davon stellt sich bei den hier angegebenen Beispielen die Frage, inwieweit sie nicht nur vorübergehend und/oder therapierbar sind!)
Ich stelle also das Individuum und seinen (notfalls mutmaßlichen) Willen in den Mittelpunkt. Ihm will ich - wenn kein anderer Ausweg bleibt - die Möglichkeit zubilligen, in Würde sterben zu dürfen. Damit unterscheide ich mich grundlegend von den Rassehygienikern und Eugenikern des Dritten Reiches und der Zeit davor (und anderer Länder, denn Eugenik gab's nicht nur bei uns!). Sie haben - unter Umständen auch ohne Einwilligung des Betroffenen - "fröhlich drauflos gemordet". Bei ihnen stand nicht das Individuum im Mittelpunkt, sondern das "Volk" oder die "Rasse". Damals wurde gegen den Willen der Betroffenen getötet; heute macht man's umgekehrt: Es wird - ebenfalls gegen den Willen der Betroffenen - am Leben erhalten. Wie sich die Bilder gleichen!
An eine schnelle Änderung der Gesetzeslage glaube ich nicht, obwohl sie meines Erachtens eine himmelschreiende Ungerechtigkeit darstellt (und ich zumindest in den grundlegenden Punkten in Bezug auf die aktive Sterbehilfe eine Zwei-Drittel-Mehrheit der deutschen Bevölkerung hinter mir weiß): Der kerngesunden Oma, die "bloß" Angst vor Heim hat, der darf ich einen Becher Gift hinstellen - sogar wissend, dass sie ihn trinken wird. Das ist straffreie Beihilfe zum Selbstmord. Wenn ich aber aus Mitleid jemand töte, der am ganzen Körper so stark gelähmt ist, dass er nicht einmal mehr mit einem Strohhalm trinken (und sich somit selbst umbringen) kann, werde ich wegen "Tötung auf Verlangen" bestraft.
Sich "für das Leben" zu entscheiden klingt zwar zunächst sehr edel. Aber in der Praxis läuft es darauf hinaus, den Betroffenen gegen ihren (im Zweifel wohl begründeten, aktuellen oder früheren, beispielsweise in einem Patiententestament geäußerten) Willen ein Leben auf zu zwingen, das für sie eine unter Umständen Jahre oder sogar Jahrzehnte lange Qual bis zum Tode darstellt, und das im Zweifel auch bei bester Zuwendung! (Und der Tod kommt so wie so für jeden von uns, früher oder später.) Ich halte das weder für mit der Würde des Menschen, noch mit Nächsten- oder Menschenliebe für vereinbar.
Und die Behauptung, dass man jedem irgendwie helfen könne, halte ich schlicht für mangelnde Einsicht in die Begrenztheit menschlicher Möglichkeiten. (Heute und in absehbarer Zukunft gibt beispielsweise keinerlei Möglichkeiten, jemandem zu helfen, der am ganzen Körper gelähmt ist. Auch die Schmerztherapie hat nach wie vor ihre Grenzen. Usw.!) Sicher, die Grenzen werden immer weiter hinausgeschoben. Aber gibt uns das das Recht, jemanden gegen seinen Willen auf vielleicht Jahre zu vertrösten, mit der Ungewissheit, ob man ihm vor seinem Tode überhaupt noch irgendwie helfen kann?
Der überwiegende Teil der Menschheit hat wohl - nicht ohne Grund - Hemmungen zu töten. Es wird immer eine schwere und schwierige Entscheidung bleiben, über das Leben oder Sterben eines Menschen zu entscheiden. Solche Entscheidungen haben das nachträgliche Bedauern schon fast vorprogrammiert, wie man aus der empirischen Entscheidungsforschung weiß. Nichts desto trotz: Bittere Pillen soll man schlucken und nicht kauen! Die Realität ist nun mal nicht immer so schön, wie uns Werbung und Politiker in ihren Sonntagsreden glauben machen wollen!
Noch ein Wort zur religiösen Argumentation: Sie stützt sich (unter Anderem) auf das Gebot "Du sollst nicht töten". Dieses Gebot ist von der Kirche selbst zur Genüge gebrochen worden: Man denke an die Kreuzzüge, Inquisition, Religionskriege usw. usf. Jetzt tut man so, als sei dieses Gebot absolut. Dabei ist nach einem Jesuswort das höchste Gebot die Nächstenliebe. Jesus hat auf die Frage, welches das höchste Gebot sei, geantwortet: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst". Wenn die Medizin nun mal am Ende und die Aussicht auf Besserung nur eine schöne Illusion ist, wird man wohl diesem Gebot nur gerecht, indem man dem Betroffenen wenigstens das Recht einräumt, schmerzlos, schnell und in Würde zu sterben.


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Harald K., E-Mail: harald.kellerwessel@web.de

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