Marx: Immer schon (weitgehend zumindest ;-) ) Murx

Zuletzt geändert: 7.11.2009 durch den Autor

In der DDR gab's einen (nicht nur einen ;-) ) politischen Witz: Was ist der Unterschied zwischen Marx und Murx? Antwort: Marx ist die Theorie.

Also war nur die Praxis Murx? Weit gefehlt, meiner Ansicht nach. Auch wenn in meinem Studium es in Bezug auf Marx sogar im konservativen Köln an deutlichen Worten der Kritik fehlte! (Anmerkung: Ich habe in den 1980er Jahren studiert, damals gab's sogar die DDR noch!)

Man stelle sich einmal vor, noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts hätte sich ein Mediziner auf das Wissen von 1867 verlassen: Man wäre wohl nicht gerade gerne bei ihm Patient gewesen. Aber die volkswirtschaftlichen Erkenntnisse aus jener Zeit machte man Ende der 1940er noch zur Grundlage des Wirtschaftssystems eines ganzen Staatenblocks! Führungskräfte, wie wir sie lieben ;-) !

Als Beispiel seien ein paar Dinge aus dem zweiten Band des "Kapital" angeführt: Er enthält eine Menge volks- und betriebswirtschaftlischer Betrachtungen, die beispielsweise zeigen, dass Marx noch von Edelmetall (Gold oder Silber) als Geld ausgeht (und damit Betrachtungen anstellt, die für heutige Verhältnisse gar nicht mehr gelten), er moderne Kapitalbedarfsrechnungen nicht kennt, ebenso Preiselastizitäten (die im Endeffekt etwas darüber aussagen, wieweit Kostenerhöhungen an potentielle Kunden sich weitergeben lassen - das kann man nämlich nicht so ohne weiteres sagen, wie Marx das tut).

Selbst zur Gründungszeit der Sowjetunion 1917 war "Das Kapital" schon veraltet, auch wenn die Bolschewiken das wohl übersehen hatten ;-) . Damit keine Missverständnisse auftreten: Ich halte die Marktwirtschaft - vor allem in ihrer jetzigen Form - höchstens für das kleinere von zwei Übeln und ich glaube auch, dass Marx irgendwo seine Verdienste hat, aber wer sich heute noch (im Ganzen) auf ihn stützt, beweist dadurch höchstens, dass er ihn nicht gelesen hat oder dass ihm zumindest die heute wirklich elementaren Wirtschaftswissenschaften (Mikroökonomik, Geldtheorie, die bereits erwähnten Kapitalbedarfsrechnungen usw.) fehlen.

Marx kritisiert Ricardo, Malthus, Owen, Say, Adam Smith usw. Wohl mit Recht. Und das ich solches noch - zumindest zum Teil - in meinem (wirtschaftlichen) Studium vorgesetzt bekam, spricht nicht gerade für unsere Professoren. Die Volkswirtschaftslehre ist heute noch kaum eine Wissenschaft zu nennen (vgl. dazu meinen Artikel "Wirtschaft - was jeder darüber wissen sollte" unter http://haraldk.de/Wirtschaft), aber das sie noch auf dem Stande von Marx wäre, das ist nun wirklich übertrieben. Abgesehen davon, dass meine allgemeine Kritik an der Volkswirtschaftslehre natürlich speziell auch Marx und sein "Kapital" einschließt!

Um nur die wirklich grundlegenden Fehler von Marx zu nennen (die vielen kleinen lassen wir hier der Kürze halber weg ;-) ): Marx reitet auf dem Mehrwert herum, den sich der Kapitalist aneignen würde. Den Mehrwert definiert Marx als die Arbeitszeit, die der Arbeiter leisten muss mehr als zur Erzielung seines Lebensunterhalts (und dessen seiner Familie) notwendig ist. Der relative Mehrwert ist dies bezogen auf die notwendige Arbeitszeit (zur Erzielung des Lebensunterhalts notwendig).

Nur am Rande erwähnt er, was den Kapitalisten wirklich interessiert: Sein Gewinn, bezogen auf das insgesamt von ihm eingesetzte Kapital (also einschließlich des Geldes für Maschinen und die Rohstoffe beispielsweise). Marx nennt das die "Profitrate". Dass sie für den Markt ein wichtiges Steuerungssignal liefert, nämlich das Kapital dahin zieht, wo die "Profitrate" am höchsten ist, das fällt ihm gar nicht auf. Auch für den Arbeiter ist der Mehrwert uninteressant: Ihn interessiert nur die Höhe seines Arbeitslohnes (und vielleicht seine Arbeitsbedingungen usw.).

Auch dass auch auf dem Arbeitsmarkt gilt: Angebot und Nachfrage regeln den Preis, scheint Marx gar nicht aufzufallen. Für ihn sind das zufällige Schwankungen. Der Arbeiter würde im Durchschnitt immer gerade soviel bekommen, dass es für seinen (und den seiner Familie) Lebensunterhalt reicht. Dabei beschreibt Marx selbst etliche Beispiele dafür, dass der Lohn darüber oder sogar darunter liegt, und dass das auch abhängig von den jeweiligen Verhältnissen ist.

Ein weiteres Manko von Marx: Der Begriff "Risiko" taucht bei ihm so gut wie überhaupt nicht auf! (Das Wort "Risiko" taucht hier in diesem Artikel wohl öfter auf als bei Marx auf 2500 Seiten!) Dabei ist es ständige Aufgabe von Unternehmern und Führungskräften, Entscheidungen unter Risiko zu treffen! Einkaufs- und Absatzmärkte sind einzuschätzen, die Ausschussrate in der Produktion und vieles mehr. Diese Risiken trägt auch keine Versicherung! (Ein Bisschen in der Richtung leisten zum Teil Warenterminbörsen.) Wenn man die Risiken richtig einschätzt, winken Gewinne, sonst drohen Verluste.

Außerdem: Wer schon einmal Geld geliehen hat, weiß, je besser die Sicherheiten, die er bieten kann, desto billiger erhält er das Kapital. Und wer schon einmal Geld in fremder Währung angelegt hat, weiß, je höher das Wechselkursrisiko, desto höher auch die Zinsen: Der wahrscheinliche Ertrag bleibt dabei gleich. Dauernd gibt es in unserer "kapitalistischen" Wirtschaft Belohnungen dafür, dass man Risiken richtig einschätzt (und Verluste - also Bestrafungen -, wenn man sich verschätzt) oder gering hält! Das scheint Marx gar nicht aufzufallen! (Geschweige denn, dass es in kommunistischen Systemen irgendwie eine Lösung der Frage gäbe, wie mit Risiken umzugehen ist. Die Risikoscheu führte beispielsweise in der früheren DDR dazu, dass praktisch nirgendwo investiert wurde - mit der Folge, dass die Wirtschaft dort immer mehr den Bach runter ging!)

Aber Fragen an die eigenen Ansichten zu stellen, ist wohl sowieso nicht so ganz Marx' Ding. Er kritisiert lieber andere als sich selbst! Wer andere Meinungen als er vertritt, wird pauschal verdächtigt, dass er nur Interessen der Kapitalisten vertrete und keine neutrale Wissenschaft. Es mag zwar vorkommen, dass Wissenschaft - was sie eigentlich nicht sein sollte - interessengeleitet ist, aber diesen Vorwurf sollte man im Einzelfall auch begründen (oder sogar beweisen)!

Zudem, was die Betriebswirtschaftslehre angeht ist Marx nicht so ganz auf dem heutigen Stand. Er unterscheidet zwar schon zwischen konstantem (heute würde man wohl sagen: fixem) und variablem Kapital, aber das sich daraus eine gewisse Mindestmenge für Produktion und Absatz ergibt, um Gewinn zu machen, das fällt ihm offensichtlich nicht auf. Für ihn ist der "Mehrwert" einfach gegeben, dabei hängt dieser davon ab, wie viel man produzieren und absetzen kann. Der Kapitalist kann sich da auch verkalkulieren (Marx liefert selbst Beispiele!)! (Die Absatzmenge hängt dazu noch vom Preis und einem mehr oder minder geschickten Marketing ab, um die Sache zusätzlich zu verkomplizieren.)

Positiv an Marx: Dass er die Marktwirtschaft als von dauernden Krisen geprägt beschreibt. In der Tat: Im Konjunkturabschwung geht es allen schlecht, egal ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer.

Außerdem muss man wohl den Frühkapitalismus als eine ganz große Krise der Marktwirtschaft ansehen (schlimmer noch als die derzeitige Finanzkrise). Es ist das Verdienst von Marx, dass er das in aller Deutlichkeit schildert, mit Kinderarbeit von erst Vierjährigen und Ähnlichem. Allerdings sieht er die Schuld beim Kapitalisten, als ob der ein anderer Mensch wäre als der Arbeitnehmer! Ich gebe mich jedenfalls lieber nicht der Illusion hin, dass die Arbeiter andere Kapitalisten abgeben würden (und beispielsweise nicht nur den kurzfristigen Gewinn ohne Rücksicht auf Verluste maximierten).

Meiner Ansicht nach gab es einfach ein Überangebot an Arbeitskräften - und dementsprechend niedrige Löhne und miserable Arbeitsbedingungen. Der Staat hätte massiv zugunsten der Arbeitnehmer eingreifen müssen, um diese Zustände zu beenden, mit Standards für die Arbeitsbedingungen, Begrenzung der Arbeitszeit und vielleicht auch Mindestlöhnen. Zwar hat der Markt sich irgendwann eingependelt, die Frage ist nur: Wann?!?

Was an Marx weiterhin zu kritisieren ist: Er zeigt nicht auf, wie es besser gehen könnte. Die Alternative "Planwirtschaft" hat ihr Nicht-Funktionieren später zur Genüge beweisen dürfen, auch wenn man das in China, Kuba und vor allem Nord-Korea anscheinend noch nicht bemerkt hat ;-) ! Führungskräfte, wie wir sie lieben ;-) !

Von einem Zeitgenossen von Marx ist diesem der Vorwurf gemacht worden, dieser hätte bei ihm abgeschrieben; zudem hätte er die Ideen kürzer und klarer formuliert. Marx vor zu halten, er hätte abgeschrieben, halte ich nun doch für etwas abwegig. Es ist durchaus möglich, dass Zweie etwa zur gleichen Zeit die gleichen Ideen haben. Allerdings: Etwas kürzer und klarer als Marx zu formulieren, halte ich nicht so ganz für eine Kunst ;-) . "Das Kapital" dürfte so ziemlich das weitschweifigste Buch sein, dass mir je untergekommen ist!

Letzteres liegt unter anderem auch an den folgenden Dingen. Zum einen weiß Marx offensichtlich - leider! - nicht, wie man einen Text ordentlich gliedert. (Vielleicht war es zu seiner Zeit auch noch nicht üblich.) Absätze gehen bei ihm zum Teil über mehr als eine ganze Seite ("Das Kapital" hat über DIN A 5 - Format!); Sätze sind häufig etliche Zeilen lang.

Dazu kommt, dass er dauernd Zahlenbeispiele bringt. Wahrscheinlich hätte bereits zu seiner Zeit ein Mathematiker Formeln und allgemeine Lösungen angegeben. Das könnte heute jeder Oberstüfler am Gymnasium, geschweige denn jemand, der Wirtschaftsmathematik gelernt hat, wie es beispielsweise in jedem Studium eines wirtschaftswissenschaftlichen Faches heute selbstverständlich ist. Marx würde wohl heute nicht mal mehr eine Matheklausur am Gymnasium bestehen!

Zum Thema "Wissenschaftlicher Sozialismus": Wissenschaftlichkeit heißt für mich (und - zum Glück - für viele andere ;-) ) gerade das man jederzeit offen ist für Kritik und seine Meinung nur für temporär gültig hält. Marx scheint dagegen die Wahrheit - ebenso wie diejenigen, die sich auf ihn berufen - auf ewig gepachtet zu haben. Alles andere als vorbildlich, so etwas!

Wo wir gerade bei denjenigen sind, die sich auf ihn berufen: Die scheinen's auch nicht so genau zu nehmen. Marx wendet sich nicht gegen selbstgenutztes Eigentum an Produktionsmitteln, sondern er sieht als Wurzel allen Übels, dass die Produktionsmittel dem Kapitalisten und dem Arbeiter nur seine Arbeitskraft gehören. Wie sich die Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft, wie es sie beispielsweise in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts der DDR gegeben hat, mit Marx vereinbaren lässt, wird mir wohl ewig ein Rätsel bleiben!

Fazit: Ich war selten von einem Buch so enttäuscht, wie vom "Kapital". Schließlich war es Grundlage des Wirtschaftssystems eines ganzen Staatenblocks, wurde selbst an der konservativen Uni Köln nicht kritisiert, und der Marxismus hat wohl heute noch seine Bewunderer. "Das Kapital" verhält sich meiner Ansicht nach zu den modernen Wirtschaftswissenschaften wie ein bedeutendes Werk der Alchemie zur modernen Chemie: Historisch ganz interessant, für die damalige Zeit vielleicht in mancher Hinsicht ein Fortschritt, aber aus heutiger Sicht - bis auf wenige Ausnahmen - grundfalsch. (Ich will's nicht so formulieren, wie ich es denke, sonst könnte mir das noch als "Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener [§ 189 StGB]" ausgelegt werden.) Ich erlaube mir, so ein hartes Urteil zu fällen, denn ich habe sowohl "Das Kapital" gelesen, als auch Betriebswirtschaftslehre studiert. Ich weiß also, wovon ich rede!

Ich kann mich nur an einmal erinnern, dass ich ähnlich enttäuscht war. Und zwar handelte es sich um Franz-Josef Strauß. Auch der hatte viele (glühende) Bewunderer. Für mich war er erledigt, nachdem ich einmal eine Rede von ihm live erlebt hatte. Er polemisierte nur und brachte keinerlei Inhalte. Unter seiner - angeblichen - Intelligenz hatte ich mir was anderes vorgestellt. Und nachher wurde meine Meinung noch bestätigt durch einen Aufsatz, den ich von ihm gelesen hatte. Dass so jemand Ministerpräsident werden konnte, wirft meiner Ansicht nach ein ganz schlechtes Licht auf eine - angeblich demokratische! - Partei und die Wähler des betreffenden Bundeslandes.

Aber auch Kriminelle großen Stils, wie Hitler, Stalin oder Mao, haben ja selbst heute noch ihre Bewunderer. Und den Rechtsstaat so ignorierende Personen wie Roland Koch oder Silvio Berlusconi sind ja sogar demokratisch auf ihre Positionen gewählt worden. (Ich will's nicht so formulieren, wie ich es denke, sonst könnte mir das noch als "Beleidigung [§ 185 StGB]" ausgelegt werden.) Ein Glück, dass ich nicht immer so enttäuscht wurde: Helmut Schmidt und Hans Küng haben mir beispielsweise gut gefallen.

Summa summarum: Marx hat wenig zu bieten, diejenigen, die sich auf ihn berufen noch weniger. Allerdings lohnt es sich trotzdem, (zumindest des ersten Band von) "Das Kapital" zu lesen: Es hilft einem, sich von einigen Illusionen über die "Marktwirtschaft" (und über Menschen allgemein) zu befreien.



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Harald K., E-Mail: harald.kellerwessel@web.de

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